Der Abstieg gestaltete sich als ebenfalls schwierig, aber damit hatte ich nach den Erfahungen beim ecotrail in Oslo schon gerechnet. Die Steigung war brutal, einige stürzten auch, zum Glück aber ohne Verletzungen. Die meisten hatten sich für diesen Lauf für Straßenschuhe entschieden (ich ebenfalls), was für 80% der Strecke auch die absolut richtige Entscheidung war. Für hier aber… nein, nope, auf keinen Fall. Wir vermissten unsere Trailschuhe. Sehr.
Nach einem sehr langen und wackeligen Weg nach unten ging es dann mit halbwegs normaler Geschwindigkeit weiter. Die schwersten Höhenmeter waren damit endlich geschafft. Aber auch die erste Ermüdung machte sich nun langsam breit. Die Anstiege hatten uns einiges an wertvoller Kraft gekostet.
Nach einigen, weiteren Kilometern durch kleinere Parks und an Straßen entlang kamen wir zum zweiten Pitstop. Auch hier gönnte ich mir wieder Chips und eine Orange. Die Gels, die ich bisher immer wieder zu mir nahm taten soweit ihren Dienst und der Magen war noch sehr entspannt.
Einige Läufer waren hier aber schon ziemlich zerstört. Einer erzählte mir davon, dass er bereits 10km lang Nasenbluten hatte und ein anderer humpelte mehr vor sich hin als zu laufen. Auch vor mir lagen noch einige sehr, sehr harte und zähe Kilometer.
Ab KM33 merkte ich wieder die gewohnte Müdigkeit und Schwäche in den Beinen, die mich bis zum nächsten Versorgungspunkt – und noch darüber hinaus – weiter begleiten sollten. Ich steckte mir einen Kopfhörer ins Ohr und versuchte mich von den schmerzenden Beinen und dem lästigen Gedankenkarussell abzulenken. Mit immer wieder längeren Gehpausen schleppte ich mich Richtung Meer und damit auch zum letzten der drei Pitstops bei KM42.
Und wieder mal ein Marathon geschafft, aber noch lange nicht im Ziel. Noch gute 16km lagen vor mir. Aber was sind schon 16km? Eine mittelgroße Trainingsrunde, das wird schon gehen. Das muss gehen!
Nach der üblichen Stärkung am Versorgungsstand humpelte ich weiter. Nach ein paar Kilometern Gehen und unnatürlichem Laufen merkte ich wie die Müdigkeit und auch die Schmerzen immer weniger wurden. Ich war verwirrt, aber definitiv nicht unglücklich darüber. Die letzten 10km komplett gehen zu müssen war kein wirklich schöner Gedanke und ich wollte mich damit nicht anfreunden müssen.
Ich versuchte langsam wieder in meinen üblichen Trott zu kommen. Langsamer als gewohnt, aber es klappte erstaunlich gut. Ich schloss mich einer Mutter, die mit ihrer Tochter gemeinsam lief an und hatte die beiden schnell ins Herz geschlossen. Die Tochter schwächelte etwas und ich ließ die beiden irgendwann zurück. Jetzt nochmal langsamer zu werden oder gar zu gehen wäre keine gute Taktik gewesen.
Kurz danach lief ich zusammen mit einer kleinen Gruppe aus 3 Läufern. Ich hatte die Jungs schon mal an einem der Pitstops gesehen. Wir redeten nicht viel, keuchten dafür umso mehr und freuten uns als wir endlich das Schild 50KM erblickten. Ein kurzer Blick nach rechts ließ diese Freude aber schnell wieder versickern und entlockte einem der Jungs ein herzhaftes „For fuck‘s sake! I am NOT doing this!!“.
Treppen… viele, viele Treppenstufen lagen vor uns. Nach 50km. Ich seufzte, rollte mit den Augen und stapfte grummelig aber zügig nach oben und ließ dabei auch diese Gruppe hinter mir.
Mittlerweile war ich wieder in der Innenstadt von Edinburgh angekommen. Es war etwas schwierig den vielen Menschen auf den Bürgersteigen auszuweichen und aufmerksam so viele Straßen zu überqueren, aber es lief. Ich lief.
Nach 52km schloss ich mich dem letzten Grüppchen für diesen Tag an. Die Läufer waren schon vor 40km immer mal wieder in meiner Nähe, sie hatten mich dann aber irgendwann endgültig abgehängt. Nun hatte ich sie aber wieder eingeholt.
Endlich. Das letzte Schild. 55KM. Nicht mehr weit, noch gute 3km. Wir liefen und liefen und liefen. Wir versuchten schneller zu werden so gut es ging, aber wirklich viel Energie war einfach nicht mehr da. Die Streckenposten versicherten uns aber, dass das Ziel jetzt in greifbarer Nähe war.
Plötzlich ein bekanntes Geräusch. Kuhglocken und sowas wie… ein Sprecher? Und Musik??
Ich bog um die Ecke und da war es. Das Ziel. Das verdammte Ziel. Ein Endspurt war beim besten Willen nicht mehr drin und so lief ich mit meiner letzten Kraft sehr gemäßigt ins Ziel. Wir klatschten uns ab, zurecht. 8h 43min harte Arbeit. Und eine wunderschöne Tour durch Edinburgh.
Die Ultra Tour of Edinburgh.