Bei KM40 ging es langsam raus aus dem Dickicht und rein in Richtung Oslo. Oslo! Das bedeutet Stadt, das bedeutet richtige Wege. Ebene Wege! Straßen!!
Es fiel mir schwer wieder in die Laufbewegung zu kommen. Alles fühlte sich träge und steif an. Aber das war hauptsächlich eine Kopfsache, das wusste ich. Ich war auf den ganzen Kilometern bisher kein bisschen außer Atem gekommen, da ich nicht dauerhaft laufen konnte und schon gar nicht schnell. Also habe ich versucht meinen gewohnten Trott wieder aufzunehmen: langsamer Dauerlauf auf der Geraden und bergab, bergauf schnelles Gehen.
Ich kam an der letzten Wasserstation vorbei. Noch ein letztes Mal das Gesicht unter Wasser halten und das letzte Gel herunter würgen. Auf geht’s, Endspurt, verdammt!
42,2km. Marathon. Normalerweise wäre hier nun Schluss. Normalerweise klettere ich aber auch nicht an Ketten hoch und balanciere über Holzstege… zusammenreißen jetzt! 8km sind nichts. Und Trail ist jetzt auch vorbei. Gleich kommt deine Stärke: Straße und Asphalt!
Ich lief stur weiter und bemerkte wie ich eine Dreier-Gruppe an 80km Läuferinnen langsam einholte. Eine der drei Personen blieb plötzlich stehen und ging zügig an den Wegesrand, um sich dort ihres Mageninhaltes komplett zu entleeren. Sie lächelte mir kurz zu, entschuldigte sich und lief unbeeindruckt weiter. Naja, so kurz vor dem Ziel aufgeben ist ja auch keine Option. Da ich sie danach nicht mehr eingeholt habe, gehe ich davon aus, dass sie sicher im Ziel angekommen ist.
Endlich Straße, nicht mal mehr Schotterwege. Super! Ich fing an wieder etwas an Schwung zu gewinnen und konnte meine Pace sogar noch etwas steigern. Ja, da waren Schmerzen, aber das hätte alles schlimmer sein können. Ich überholte ein paar 50km Läufer und redete ihnen gut zu. Was ich schaffen kann, schaffen die doch schon längst! 3km vor Schluss habe ich meinen Fistbump-Norweger wieder getroffen. Er schleppte sich mühevoll mit ganz kleinen Schritten voran. Ich fragte ihn, ob er mit mir weiterlaufen möchte, er lehnte aber dankend ab. Er wünschte mir viel Glück und ich ließ ihn hinter mir.
Ich kam immer weiter Richtung Ziel. Ich traf noch ein bekanntes Gesicht, er humpelte langsam vor sich hin. Ich erkundigte mich, ob bei ihm noch alles ok sei. Er meinte er hätte die letzten 10km mit Krämpfen zu kämpfen, aber ansonsten wäre alles in Ordnung. Auch ihn überholte ich langsam und bewegte mich weiter Richtung Ziel.
Die letzten 2km. Innenstadt. Einheimische und Touristen betrachteten uns teilweise sehr verwundert. Warum humpelten hier immer wieder dreckige, halb desorientierte Menschen an ihnen vorbei? Ich hatte mittlerweile keine Lust mehr. Ich war wirklich sehr müde.
Der letzte Kilometer. Wo zum Teufel war eigentlich dieses Ziel? Musste man das nicht langsam mal sehen?? Ich sah meinen Mann am Straßenrand stehen. Er versicherte mir, dass das Ziel hinter der nächsten Ecke sei. Wehe, das stimmt nicht!
Und da war es plötzlich. Tatsächlich, das Ziel. Meine Fresse, endlich! Schon fast keiner mehr hier… naja, mir egal. Ich will endlich aufhören zu laufen. Ich lief die letzten Meter, überquerte die Ziellinie und drückte die Stop-Taste auf meiner Uhr. Vorbei. Geschafft.
Der Veranstaltungssprecher hieß mich im Ziel willkommen. Barbara aus Österreich, Platz 15 in ihrer Altersklasse, in 7h 19min. Ich war also fast 7,5h unterwegs. Wahnsinn. Nicht wirklich die Zeit die ich avisiert hatte, aber das war nicht wichtig. Ich war angekommen und ich war noch ganz. Und eigentlich kam mir das Ganze gar nicht soo lange vor.
Ich ließ mir meine Medaille überreichen, setzte mich auf eine Parkbank am Hafen und trank den letzten Schluck aus meinem Trinkrucksack. Das war er also, mein erster Ultramarathon.